Was charakterisiert einzelne Innenraum-Schadstoffe? Welche Schadstoff-Quellen gibt es? Wie wirken sich die Chemikalien auf Mensch und Umwelt aus? Und wie beurteilt das eco-INSTITUT die Stoffe? Diese und weitere Fragen klären wir in unserer Rubrik „Schadstoff-Steckbrief“.
Isocyanate sind organische Verbindungen, die vor allem als Ausgangssubstanzen für die Herstellung von Kunststoffen auf Polyurethanbasis dienen. Sie entstehen aus der Reaktion von Aminen und dem Gas Phosgen. Man unterscheidet nach der Anzahl der in einem Isocyanat-Molekül vorhandenen Isocyanat-Gruppen Mono-, Di- und Poly-Isocyanate. Isocyanate sind hochreaktiv und verbinden sich schnell z. B. mit Wasser, Alkoholen oder Aminen zu langkettigen Verbindungen.
Diisocyanate sind die technisch bedeutsamste Isocyanatgruppe: Durch Reaktion mit Alkoholen oder Phenolen entstehen die vielseitig verwendeten Polyurethane (PUR), die vor allem als Schaumstoffe, Lacke, Klebstoffe, Beschichtungsmittel oder in Montageschäumen zum Einsatz kommen.
Zu den Diisocyanaten zählen beispielsweise:
- MDI – Diphenylmethan-4,4‘-diisocyanat
- HDI – 1,6-Hexamethylendiisocyanat
- TDI – Toluol-2,4-diisocyanat
Isocyanate reizen Augen, Haut und Schleimhäute und wirken stark allergisierend, einige stehen im Verdacht krebsauslösend zu sein.
Monoisocyanate wie Methylisocyanat werden beispielsweise bei der Produktion von Pestiziden verwendet.
Technisch bedeutsam sind Diisocyanate: Sie dienen zur Herstellung von Polyurethanen (PUR) und damit als Grundstoffe u. a. für Klebstoffe, Lacke, Beschichtungen, Montageschäume und Dämmplatten. Außerdem werden aus PUR-Schäumen Matratzen gefertigt. Insgesamt werden über 90 % der Isocyanate zur Herstellung von Polyurethanen eingesetzt.
Isocyanate können über die Atemwege oder die Haut in den Körper gelangen.
Unmittelbar gefährdet sind vor allem die Mitarbeiter in den Fabriken, wo Isocyanate hergestellt oder weiterverarbeitet werden. Gefährdet sind außerdem die Verarbeiter bestimmter isocyanathaltiger Produkte, die erst bei der Anwendung zu Polyurethanen reagieren (z. B. ein- oder zweikomponentige PUR-Klebstoffe, Lacke oder Montageschäume). Dabei können hohe Isocyanat-Emissionen auftreten. Eine große gesundheitliche Relevanz haben dabei die sog. monomeren Isocyanate – d. h. Isocyanate, die nicht polymerisiert wurden und somit noch als reaktive Moleküle vorliegen (siehe Exkurs*); Monomere sind in isocyanathaltigen Produkten zwar meist nur in geringen Mengen enthalten, sie sind aber sehr flüchtig und können so leicht eingeatmet werden.
Sind Isocyanate umgesetzt (d. h. alle Isocyanatgruppen sind verbraucht und chemisch umgewandelt) – z. B. bei ausgehärteten PUR-Lacken oder bei eingebauten isocyanathaltigen Holzwerkstoffplatten – geht i. d. R. keine Gesundheitsgefahr mehr von ihnen aus. Isocyanate können allerdings unbeabsichtigt freigesetzt werden: z. B. bei der thermischen Zersetzung von Kunststoffen und bei der Lagerung oder mechanischen Bearbeitung nicht vollständig umgesetzter PUR-Produkte.
Wirkungen auf Mensch und Umwelt
Isocyanate wirken stark reizend auf Augen, Haut und Schleimhäute – schon in geringer Konzentration. In höheren Dosen führen sie u. a. zu starkem Hustenreiz und Kurzatmigkeit. Daneben sind Isocyanate stark allergieauslösend: Sie sensibilisieren Haut und Atemwege (man spricht auch von Isocyanat-Asthma). Die allergisierende Wirkung kann bereits bei Konzentrationen weit unter den Arbeitsplatz-Grenzwerten eintreten.
Einige Isocyanate gelten als möglicherweise krebsauslösend.
Das Gas Phosgen, das man für die Herstellung von Isocyanaten benötigt, ist stark giftig und wassergefährdend (Phosgen wurde im Ersten Weltkrieg als chemischer Kampfstoff eingesetzt).
1984 waren Isocyanate – genauer Methylisocyanat – Ursache für eine der größten Chemiekatastrophen der Geschichte: Im indischen Bhopal explodierte in einer Pestizidfabrik ein Tank mit der Chemikalie und sorgte für Zehntausende Tote und Hundertausende Verletzte.
* Exkurs: Bei monomeren Isocyanaten handelt es sich um einzelne Moleküle mit reaktiven Isocyanatgruppen – sie sind als Monomere ein Baustein für den Aufbau größerer Moleküle, den Polymeren. Als Oligomere bezeichnet man mittelgroße Moleküle, die sich aus mehreren monomeren Isocyanaten zusammensetzen oder auch kurze Ketten des Polymers darstellen können. Kurze Ketten des Polymers mit reaktiven Isocyanatgruppen werden auch als Prepolymere bezeichnet. Es handelt sich um vorpolymerisierte Rohstoffe, die – im Falle von Polyurethan – durch die Reaktion von Isocyanaten mit Polyolen (spezielle Alkohole) erzeugt werden. In isocyanathaltigen Produkten liegen Isocyanate meist als Prepolymere oder als Oligomere mehrerer monomerer Isocyanate vor, als Monomere nur in geringen Anteilen. Im Gegensatz zu Monomeren sind Oligomere und Prepolymere weniger flüchtig.
Stoffeinstufungen
Verschiedene Regelwerke wie CLP-Verordnung, TRGS 905, IARC -Liste und MAK-Liste stufen eine Reihe von Isocyanaten als potentiell krebserregend ein, darunter folgende Substanzen:
Verbote und Einsatzbeschränkungen
Für monomere Diisocyanate sind Arbeitsplatzgrenzwerte (AGW) festgelegt.
Außerdem gelten für monomere Diisocyanate zukünftig Beschränkungen für die industrielle und gewerbliche Verwendung sowie das Inverkehrbringen: Gemäß REACH -Verordnung1 dürfen Diisocyanate ab dem 24.8.2023 in anderen Stoffen oder Gemischen EU-weit nicht mehr industriell oder gewerblich verwendet werden – es sei denn, die Konzentration an Diisocyanaten liegt unter 0,1 Gew.-% oder die Anwender werden für eine sichere Handhabung entsprechend geschult. Lieferanten müssen für das Inverkehrbringen derartiger Produkte bereits seit dem 24.2.2022 sicherstellen, dass ihre Abnehmer die Anforderungen kennen und dass auf der Produktverpackung ein Hinweis auf die zukünftige Schulungspflicht steht.
Auch der Endverbraucher soll geschützt werden: Gemäß Anhang XVII REACH -Verordnung gelten seit dem 27.12.2010 Einsatzbeschränkungen für MDI-haltige Produkte: Wenn ein Gemisch ≥ 0,1 Gew.-% MDI enthält, darf es nicht an die breite Öffentlichkeit abgegeben werden – mit einer Ausnahme: der Verpackung liegen Schutzhandschuhe bei. Diesen Kompromiss hat die Industrie der EU abgetrotzt.
1) Verordnung (EU) 2020/1149 vom 3. August 2020 Anhang XVII der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH) hinsichtlich Diisocyanaten
Grundsätzlich können bestimmte Produkte, in denen Isocyanate verwendet werden, mit dem eco-INSTITUT-Label ausgezeichnet werden. Dazu zählen beispielsweise Holzwerkstoffplatten oder Bodenbeläge mit isocyanathaltigen Einsatzstoffen (z. B. Klebern), Produkte mit einer PUR-Beschichtung oder Matratzen aus PUR-Schaumstoff. In diesen Fällen sind die Isocyanate bereits zu einem Polymer umgesetzt worden und stellen für den Verbraucher keine Gefahr mehr dar.
Zur Sicherheit werden im Rahmen der Emissionsmessung diese Produkte aber auf die monomeren Diisocyanate HDI, TDI und MDI geprüft. Für HDI, 2,4-TDI und 2,6-TDI gilt eine Anforderung von < 1 µg/m³, für MDI ist die Anforderung < 2 µg/m³.
Es ist schlussendlich eine Abwägung zwischen den möglichen Umwelt- und Gesundheitsgefahren bei der Isocyanat-Herstellung und -Verarbeitung und deren Nutzen bei der Anwendung – im Vergleich zu anderen Produkten. So haben z. B. isocyanathaltige Holzwerkstoffplatte gegenüber Produkten, die mit formaldehydhaltigem Leim verklebt sind, den Vorteil, dass die Emissionen insgesamt geringer sind.
Bei der Entscheidung für die Verwendung von isocyanathaltigen Komponenten empfiehlt das eco-INSTITUT den Herstellern stets zu prüfen, ob technisch vergleichbare Lösungen existieren und Umwelt- und Gesundheitsgefahren der Alternativen geringer sind.
Flüssige Produkte (z. B. Klebstoffe oder flüssige Dichtstoffe), die isocyanathaltige Komponenten enthalten, können grundsätzlich nicht zertifiziert werden. Auch wenn Oligomere bzw. Prepolymere verwendet werden, können von den Produkten Restgefahren ausgehen. Auf der Verpackung sind solche Produkte mit dem sog. EUH-Satz EUH204 „Enthält Isocyanate. Kann allergische Reaktionen auslösen.“ gekennzeichnet (die nur in der EU geltenden EUH-Sätze ergänzen die in der CLP-Verordnung definierten Gefahrenhinweise für Produkte).
Bundesanstalt für Arbeitsmedizin und Arbeitsschutz (BAuA) (2022): Beschränkung von Diisocyanaten unter REACH: Was industrielle und gewerbliche Verwender und Lieferanten beachten müssen. Helpdesk kompakt: REACH. (https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Praxis/Diisocyanate.pdf?__blob=publicationFile&v=2)
Messung und Beurteilung von Isocyanaten unter Beachtung der TRGS 430: Gefahrstoffe – Reinhaltung der Luft (2013) Nr. 5 (https://www.dguv.de/medien/ifa/de/pub/grl/pdf/2013_122.pdf)
Richtwerte für die Innenraumluft – Diisocyanate: Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 43 (2000) (https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/pdfs/Diisocyanate.pdf)
Rühl R., Rouw A. (2018): Isocyanate (Teil 1 von 3). sicher ist sicher 11.18: 482 – 487.
Grafiken: Karin Roth
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