26. April 2022 | Alexandra Kühn | Alle Beiträge, Emissionen und Schadstoffe

Wodurch lassen sich Innenraumschadstoffe – wie flüchtige organische Verbindungen (VOC) oder Formaldehyd – reduzieren? Beispielsweise durch die Verwendung emissionsarmer Bau- und Einrichtungsprodukte. Aber auch ausreichendes Lüften sorgt für weniger Schadstoffe in der Innenraumluft. Eine weitere Möglichkeit kann der Einsatz sorbierender Baumaterialien sein, d. h. Produkten, die (Schad-)Stoffe aufnehmen können. Im Handel sind z. B. Trockenbauplatten oder Wandfarben erhältlich, die einen konzentrationsmindernden Effekt auf Luftschadstoffe (meist Formaldehyd) versprechen. Aber wie lässt sich die Wirksamkeit dieser Produkte feststellen und wie gut funktioniert die Sorption in der Praxis?


Für die Prüfung sorbierender Baumaterialien existieren zwei internationale Normen: Mit Hilfe der ISO 16000-23 und ISO 16000-24 lässt sich beurteilen, wie gut solche Produkte die Konzentration von Formaldehyd bzw. VOCs in der Innenraumluft reduzieren können. Dabei kommen – wie bei Emissionsprüfungen – Prüfkammern zum Einsatz, die die raumklimatischen Bedingungen eines realen Innenraums simulieren (23 °C, 50 % relative Luftfeuchtigkeit und ein Luftwechsel von 0,5/h).

Die ISO 16000-23 beschreibt die „Leistungsprüfung zur Beurteilung der Konzentrationsminderung von Formaldehyd und anderen Carbonylverbindungen durch sorbierende Baumaterialien“, die nahezu wortgleiche ISO 16000-24 die Konzentrationsminderung von VOCs. Beide Normen unterscheiden sich nur in den Analysemethoden – bei der Vorgehensweise und dem Prüfablauf gibt es keinen Unterschied.

Die Prüfung besteht aus 2 Schritten: Zuerst wird die Fähigkeit zur Sorption getestet und anschließend verschiedene Kennzahlen berechnet, danach erfolgt die Prüfung der Re-Emission (Wiederfreisetzung).


1. Schritt: Sorptionsprüfung

Zunächst wird geprüft, wie gut ein Produkt die Konzentration von Formaldehyd bzw. VOCs verringern kann (Sorptionsfähigkeit). Die Sorption kann dabei rein physikalisch oder durch chemische Reaktion erfolgen – die Norm macht hier keinen Unterschied. Sie schließt aber Produkte aus, die chemische Verbindungen durch fotokatalytische Reaktion abbauen.

Während der Sorptionsphase wird die eingehende Versorgungsluft der Prüfkammer mit der oder den Zielsubstanzen versetzt. Diese sogenannte Dotierung erfolgt kontinuierlich mit konstanter Konzentration über den gesamten Prüfzeitraum.

Sobald in der Prüfkammer eine stabile Konzentration an Zielsubstanz(en) eingestellt ist, kann das Prüfstück in die Kammer gelegt werden. Zu definierten Messzeitpunkten wird dann die sogenannte Wiederfindung bestimmt: Hier ermittelt man die Konzentration der eingehenden Prüfkammerluft (siehe „A“ in der Grafik) gegen die Konzentration der ausgehenden Prüfkammerluft (siehe „B“ in der Grafik). Aus den jeweiligen Wertepaaren, die man für jeden Messzeitpunkt erhält, lassen sich dann sowohl die prozentuale Wiederfindung als auch weitere Kennzahlen, die in der Norm beschriebenen sind, berechnen.

Sorptionsprüfung


2. Schritt: Re-Emissionsprüfung

Um die Leistungsfähigkeit eines sorbierenden Baumaterials abschließend beurteilen zu können, ist es hilfreich – zusätzlich zu den verschiedenen Kennzahlen aus der Sorptionsprüfung –, die Stärke und Dauerhaftigkeit der sorptiven Bindung zu kennen. Hierzu wird im Anschluss an die Sorptionsprüfung die Re-Emission geprüft.

Diese Messung startet direkt nach Abschluss der Sorptionsphase: Die Dotierung wird gestoppt und die Prüfkammer wird nur noch mit gereinigter Luft versorgt. Das Prüfstück, das zuvor die dotierte(n) Zielsubstanz(en) sorbiert hat, bleibt unverändert in der Kammer und der Luftwechsel in der Prüfkammer bleibt ebenfalls konstant.

Nach festgelegten Messzeitpunkten (i. d. R. nach 24 Stunden und 7 Tagen) wird die ausgehende Prüfkammerluft beprobt. Die Konzentration der Zielverbindung(en) in der ausgehenden Prüfkammerluft gibt Aufschluss darüber, wie dauerhaft und stark die sorptive Bindung ist, und liefert Informationen über den Anteil an nur oberflächlich gebundenen VOCs.

Auf Grundlage der Einzelinformationen aus der Sorptions- und Re-Emissionsprüfung lässt sich abschließend beurteilen, wie leistungsfähig das geprüfte Bauprodukt hinsichtlich der Konzentrationsminderung von Formaldehyd bzw. VOCs ist.


Und in der Praxis?

Messungen zeigen, dass sorbierende Baumaterialien dazu beitragen können, bestimmte Luftschadstoffe im Innenraum zu reduzieren. Derzeit ist es für Verbraucher aber kaum möglich, gute sorbierende Bauprodukte von weniger geeigneten Produkten zu unterscheiden. Es gibt keine einheitlichen Bewertungsmaßstäbe und häufig noch nicht einmal vergleichbare, nach Norm durchgeführte Prüfungen.

Bei den meisten Produkten handelt es sich außerdem um Trockenbauplatten, die i. d. R. noch verspachtelt, tapeziert und gestrichen werden, was die wirksame Oberfläche deutlich reduziert. Ob ein Einsatz sorbierender Baumaterialien im Innenraum sinnvoll ist oder nicht, hängt daher von den äußeren Gegebenheiten und der Zielsetzung ab.

Ausführliche Informationen zur Prüfung sorbierender Baumaterialien und zu den einzelnen Kennzahlen finden Sie im Band 11 der Fachzeitschrift „Gebäudeschadstoffe und Innenraumluft“.


Alle Schlagwörter zu dem Beitrag: Bauprodukte, Formaldehyd, Laborprüfung


2 Antworten zu “Fachbeitrag: Weniger Innenraumschadstoffe durch sorbierende Baumaterialien”

  1. Ich bin nicht der Meinung, dass der Einsatz sorbierender Baustoffe ein sinnvoller Ansatz ist. Derartige Materialien sind in der Regel der Träger nachfolgender Anstriche. Projekte, die nach emissionsfreien Kriterien geplant werden, können sehr gut durch die richtige Wahl der eingesetzten Materialien auf Gebäudeschadstoffe verzichten.
    Ausserdem wäre zu bedenken, ab wann ein Sättigungsgrad der sorbierenden Baustoffe erreicht wird, dies scheint jedoch nicht Teil der Prüfanalyse zu sein.

  2. eco-INSTITUT sagt:

    Vielen Dank für Ihr Feedback. Wir geben Ihnen völlig recht: einen wohngesunden und emissionsarmen Innenraum erreicht man idealerweise durch den Einsatz emissionsarmer Bauprodukte und Einrichtungsgegenstände. Unter bestimmten Voraussetzungen kann der Einsatz von sorbierenden Baumaterialien als zusätzlicher Baustein im Rahmen einer Sanierung sinnvoll sein. Das zur Schadstoffreduktion eingesetzte sorbierende Bauprodukt sollte natürlich ebenfalls emissionsarm sein und auch keine Reaktionsprodukte in die Innenraumluft abgeben.
    Sie sprechen noch einen weiteren wichtigen Punkt an: die Sättigungsmasse bzw. Lebenszeit eines Produkts. Die Bestimmung der Sättigungsmasse ist grundsätzlich Teil des Prüfverfahrens. Zur Bestimmung der Sättigungsmasse sind oft sehr lange Prüfungen (> ¾ Jahr) notwendig, die mit unrealistisch hohen Konzentrationen an Innenraumschadstoffen durchgeführt werden. Diese Ergebnisse erlauben zwar eine Abschätzung der Lebenszeit unter realen Bedingungen, eine regelmäßige Kontrolle der Innenraumluftsituation in belasteten Innenräumen würden wir jedoch empfehlen.

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